Der 13. Pflegefamilientag

Mädchen und Jungen aus herausfordernden Lebensumständen zur Selbstbemächtigung begleiten

Im September 2017 führte die Pflegekinder-Aktion St . Gallen zum dreizehnten Mal einen Vernetzungsanlass für Pflegefamilien mit Kindern in Dauerbetreuung durch. Der Familientag fand wieder im Kirchenzentrum St. Konrad in Kronbühl/Wittenbach statt. 13 Familien nahmen teil, insgesamt waren rund 60 Personen vor Ort, inklusive Helferinnen und Helfer.

Der Anlass fand am statt.
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Dieses Mal verbrachten die Kinder ab 6 Jahren den Vormittag in der Naturschule in St. Gallen. 12 Kinder zwischen 6 und 14 Jahren fuhren mit ihren Begleitpersonen mit einem Sonderpostauto nach St. Gallen in die Naturschule zu Laurenz Alder und seinem Sohn. Dort ging der Blick weit, weit zurück. Die Kinder durften Fossilien aus den Steinen holen. Mit einem Hammer und einem Meissel konnten sie versteinerte Schnecken, Muscheln oder Knochen aus den Steinen klopfen und mitnehmen. Auch dieses Mal sind Freundschaften vertieft und vielleicht wieder Adressen ausgetauscht worden (s. Bericht von Juliette).

Die kleinen Kinder wurden an diesem regnerischen Tag von Christine Schnidrig und ihrem Team in den Räumen der Kinderkrippe Cavallino gleich neben dem Kirchenzentrum betreut.

Nach dem Willkommenskaffee fand eine Vorstellungsrunde statt zur Frage „Was kann ich gut?“ „Zuhören, spüren, hartnäckig sein, organisieren, Sachen reparieren, abschalten, trösten, Geschichten erzählen, Stimmen und Dialekte nachahmen, vernetzen, umdeuten, leben und lachen.“

Dann berichtete die Traumapädagogin der ersten Stunde, Wilma Weiss, über Auswirkungen traumatischer Lebensumstände und die Wirkkraft traumatischer Übertragungen. Sie erklärte das dreigliedrige Gehirn und wie es seine Funktionsweise verändert, wenn „der Denker“ ausgeschaltet ist. „Wer ein chronisches Trauma erlitten hat, fühlt sich unwiderruflich anders oder verliert jegliches Gefühl für sich selbst“ (J.L. Herman in „Die Narben der Gewalt“, 1993, S. 123).

Was hilft? Wilma Weiss erläutert das Konzept des „Guten Grundes“: „Alles, was ein Mensch zeigt, macht Sinn in seiner Geschichte“. „Die Würdigung und Wertschätzung dieser notwendig gewordenen Verhaltensweisen sind ein entscheidender erster Schritt, den Kindern und Jugendlichen zu ermöglichen, ihr belastendes Verhalten im Kontext seiner Notwendigkeit zu reflektieren und möglicherweise alternative Verhaltensweisen zu entwickeln.“ Pflegekinder brauchen Begleitung, damit sie selber verstehen, was passiert. Das entlastet sie. Sie können dann mitreden. Wilma Weiss zitiert ein Kind: „Das war nicht ich, das war mein Reptiliengehirn.“ Selbstverstehen wirkt, es erhöht die Selbstakzeptanz, macht Mut, wirkt gegen Isolation und Scham, erhöht soziale Kompetenz und die Möglichkeiten der Selbstregulation. Diese einzuüben ist hilfreich: Trigger und Stimuli identifizieren, z.B. Tageszeiten, Situationen oder auch Sätze wie „Was guckst du?“ Energie- und Stressniveau sowie Körperempfindungen wahrnehmen lernen. Körperempfindungen sind ein Frühwarnsystem, ein leerer Kopf, Herzklopfen, schlotternde Knie, Bauchschmerzen, „Gehirnbauchweh“ usw. Möglichkeiten der Regulation sind Atmen, auch die Schlürfatmung, Zehengang oder breitbeinig gehen, Überkreuzübungen, stampfen, trinken, Fenster auf. Weiss erzählt, wie viel wir von den Kindern lernen können, weil sie Experten und Expertinnen für herausfordernde Lebensumstände sind und deshalb viel über das Überleben wissen, über traumatischen Stress und über gute Pädagogik.

Was brauchen wir Erwachsenen? Sachwissen über die Dynamiken von Traumata, Selbstreflexion von Übertragungen („Ich bin nicht gemeint“), Bindungsfallen sowie Gegenreaktionen und körperlich-seelische Selbstfürsorge. Zur Erklärung der Haltung der Erziehenden zitiert Weiss ein Zitat von Galileo Galilei: „Man kann einen Menschen nichts lehren, man kann ihm nur helfen, es in sich selbst zu entdecken.“

Viele Pflegeeltern hatten persönliche Fragen an die Referentin und erzählten Episoden aus ihrem Erziehungsalltag, beispielsweise zur Besuchssituation ihrer Kinder. Weiss empfiehlt eine gute Vor- und Nachbereitung: Vielleicht verspürst du Angst? Was kannst du dann in der Situation machen? Was beruhigt dich? Nach dem Besuch soll das Kind zuerst den Stress rauslassen können, Bewegung hilft, oder Erlebnisse malen oder niederschreiben (externalisieren).

Zentral ist, dass die Pflegeeltern die Kinder verstehen – und dass die Kinder sich selbst verstehen und ihr Verhalten als normale Reaktion auf frühere Stressgeschichten einordnen können: Ich bin nicht verrückt. Wichtig ist auch, den Blick darauf zu lenken, was das Kind schon alles geschafft hat.

Nach dem Mittagessen vom Grill schlossen wir die Veranstaltung mit dem Sternenhimmel ab: Die Kinder/Pflegekinder stellten sich mit ihrem Stern vor: Was kann ich gut? Malen, basteln, Tennis spielen, singen, mutig sein, mit Hunden und Pferden umgehen usw.

Quelle: Unveröffentlichte Power Point Präsentation von Wilma Weiss vom 2.9.17.

Literaturhinweis: „Philipp sucht sein Ich“ von Wilma Weiss, Verlag Beltz Juventa, ISBN 978- 3-7799-2682-5, 1. Auflage 2003, 8. Auflage 2016

Auch dieses Jahr hat Samuel (12) fotografiert, und Juliette (14) hat wieder einen kleinen Bericht verfasst. Vielen herzlichen Dank!

Bericht über den Pflegekindertag 2017 von Juliette (14)

Am 2. September fand dieses Jahr der Pflegekindertag statt. Gestartet hat dieser immer erlebnisreiche Tag mit Regen, was viele sehr schade fanden. Gegen 9:00 Uhr ging es mit dem Postauto und über zehn Kindern und einigen Leitern los. Die Gruppe fuhr einige Minuten, bis sie am Fusse eines kleinen Hügels waren. Von Dauerregen begleitet wurden sie von einem Jungen zur Waldschule geführt. Nach einem Fussmarsch von etwa 15 Minuten kamen alle an, einige trocken und mit Regenhosen, die Anderen nass und mit Pullover. In der trockenen Küche der Waldschule fühlten sich alle sofort wohler als in dem grausigen Nass ausserhalb der Fenster. Gestärkt wurden alle mit einem Bürli und einer Apfelschorle. Nach einem spannenden Kurzvortrag über das Thema, dass St. Gallen einmal an einem Meer gelegen ist, wollten natürlich alle Archäologen spielen, was sie schlussendlich auch machen konnten. Bewaffnet mit Hammer und Meissel konnten sich die Kinder und Jugendlichen daran machen, Muscheln aus Steinen, welche von dem Steinbruch kommen , zu meisseln. Einige hatten Spass daran, weil ihnen die Kälte nichts ausmachte. Einige verzogen sich nach einer halben Stunde ins Haus und tranken zur Aufwärmung einen heissen Tee. Gegen 12 Uhr packten die Teilnehmenden ihre Sachen und natürlich auch die Schätze, die sie wie geübte Archäologen herausgemeisselt haben. Voller Motivation auf den Zmittag ging es mit dem Bus zurück ins Kirchenzentrum. Dort angekommen wartete schon der Grill brutzelnd auf seine hungrigen Kinder und Erwachsenen. Was die Pflegeeltern in der Zwischenzeit gemacht haben, darüber kann ich nur wenig sagen. Während und nach dem Essen wurde geschwatzt und gespielt. Die Zeit verging viel zu schnell. Als Abschluss konnte jeder in einer Runde nach vorne kommen, sagen was er gut kann und bekam dann ein Polaroid Foto von sich und seinem Stern als Erinnerung. Ein gelungener Tag!