Durch Stress, kein Geld, keine Freunde mehr hier, eine alleinerziehende Mutter, kein Selbstwertgefühl, weil ich der Ansicht war, versagt zu haben, mit 40 Jahren wieder zu den Eltern zu ziehen (nachdem ich jahrelang selber gehaushaltet habe), bin ich leider in eine Alkoholsucht gelangt, um die Sorgen wegzutrinken und abschalten zu können. So konnte ich nicht die Mutter sein, die ich eigentlich sein sollte und wollte.
Jahrelanges Ringen mit der Krankheit, mal trocken und mal durch Stress, Ärger und eben Minderwertigkeitsgefühlen rückfällig geworden, wurde die KESB vor über 5 Jahren eingeschaltet.
S. war während meiner Arbeit und während meiner zahlreichen Spitalaufenthalte und Kurztherapien meistens bei meinen Eltern. Für die war es auch nicht einfach, da sie auch schon um die 75 und 80 Jahre alt waren. So konnte es also nicht weitergehen.
Nach ein paar Monaten, bei einem Termin beim Beistand, wurde es ernst: Der Beistand hatte sich an die Pflegekinder St. Gallen gewendet und man hatte in der Gegend Pflegeeltern gefunden. Er zeigte uns ein Foto. Da wurde mir bewusst, dass es ernst wird. Ich kann mich gut erinnern, auch S. war das zu viel, obwohl er damals erst 10 war. Er fing an zu weinen und im Nachhinein ist es schwierig, einzuschätzen, wie sehr ihn das bewegt hat, er war ja noch soooo klein und zerbrechlich. Sicherlich aber ging es ihm nicht gut. Für mich war das natürlich auch sehr schwierig, aber durch die Krankheit ging es mir sehr schlecht und ich musste mich damit abfinden, mein Kind abzugeben. Die Behörde war ja bereits im Spiel. Das bedeutete für mich: Loslassen und so gut wie möglich mitzumachen und Vertrauen zu finden. Einen grossen Vorteil sah ich jedoch schon am Anfang: Nun gab es endlich eine Vaterfigur in der Familie.
Bei einem grossen Treffen hier in der Organisation in St. Gallen sahen wir uns alle im grossen Rahmen zum ersten Mal. Pflegeeltern, Gotti/Götti, Grosseltern, Beistand, Pflegekinder St. Gallen, Pflegeeltern und ich. Man näherte sich langsam an. Es gab dann für S. ein Wochenende bei den Pflegeeltern und vor 5 Jahren kam S. dorthin.
Ich meinerseits begab mich in eine Langzeittherapie, die für mich auch alles andere als einfach war. Dort blieb ich über 2 Jahre und bin immer noch trockene Alkoholikerin und stolz darauf, denn nur die wenigsten schaffen das. Diese Krankheit ist weit verbreitet, ich sehe die Problematik in der Gesellschaft und ich gehe auch offen damit um. Bin heute ein Spezialist in Sachen Sucht. Muss jedoch mein Leben lang daran arbeiten, keinen Rückfall zu haben.
Seit dem Eintritt in die Pflegefamilie ist S. regelmässig während Wochenenden und Ferien einige Tage bei mir. Die jeweiligen Ablösungen sind immer problemlos verlaufen.
Ich würde sagen, dass sich die Pflegekinder St. Gallen in meinem Fall wirklich sehr bemüht hat, die geeigneten Eltern zu finden. Ja, heute würde ich sagen, dass es bis jetzt wirklich ein Glücksfall geworden ist. Die Chemie stimmt.
S. liebt seine Pflegeeltern, und wenn ich sehe, wie sehr er sich manchmal an die Pflegemutter anschmiegt, könnte ich eifersüchtig werden. Jedoch kann ich in diesen Momenten spüren, wieviel S. ihnen bedeutet und wie lieb sie sich gewonnen haben und dass es ihm gut geht. Über den Zuwachs von weiteren Grosseltern und andern Familienangehörigen freut er sich. Mehr und mehr werden wir durch dieses Ereignis wie eine grössere Familie, sozusagen eine Patchworkfamilie. Ich und meine Familie wird bei Festen eingeladen und meine Familie lädt die andere ein. So sind wir in den letzten Jahren zusammengewachsen.
Viele von uns sind Eltern. Und jeder von uns erzieht in der Regel nur einmal Kinder. Und alle wollen wir das Richtige machen, aber ein Rezept für jeden Tag gibt es nicht. Die Pflegeeltern sind sehr ehrgeizig, pflichtbewusst, zielstrebig und haben ähnliche Erziehungsvorstellungen wie ich.
Dank den Pflegeeltern hat sich S. bis heute wirklich sehr gut entwickelt. Er ist sehr gut in der Schule und er singt schon lange. Seit einem Jahr nimmt er Gitarrenunterricht und nun auch E-Piano. Er möchte eigene Lieder schreiben. Daneben geht er in die Pfadi. Andere Kinder gehen zum Fussball, aber S. singt eben – und wie gut er das kann, hat er uns mit mehreren Beiträgen vor einem riesigen Publikum schon mehrmals bewiesen. S. war in der Schule fleissig und seine Noten sind traumhaft. Bald fängt seine 4-jährige Lehre an. Er hat seine Wunschlehrstelle erhalten. Für die Stelle hatten sich 14 Jugendliche beworben und beim Vorstellungsgespräch, bei dem die Pflegeeltern und ich dabei waren, haben wir eine so gute Falle gemacht, dass er diese erhalten hat. Ein 2. Betrieb wollte ihn auch ausbilden. Nach der Lehre möchte er sich schulisch weiterbilden und studieren.
Dass er sich so gut entwickelt hat, ist vor allem den Pflegeeltern zu verdanken. Ich bin auch stolz auf ihn, wie er das alles mitgemacht hat und mitmacht. Natürlich geben wir uns als Erwachsene alle viel Mühe. Die ca. alle halbjährlich stattfindenden STAO-Gespräche, bei denen wir S. miteinbeziehen, gehen jeweils ruhig und sachlich über die Runden. Allfällige Anliegen können in Ruhe besprochen werden. Ansonsten funktioniert die wenige Kommunikation, die sehr wichtig ist, bestens. Wir können uns auch Komplimente geben. Alle arbeiten mit- und nicht gegeneinander.
Seit fast 2 Jahren besitzt S. ein Töffli, ist somit mobiler geworden und verbringt mehr Zeit bei Freunden. Als mir die Pflegemutter einmal erzählt hat, dass sie ihn manchmal vermisst, weil er wieder einmal mehr unterwegs ist, zeigt doch, wie herzlich die Situation ist. Das hat mich sehr gerührt.